Der Klosterlandschaft Schweiz geht es nicht gut

    Der Verein Kloster-Leben hat sich zur Aufgabe gemacht, religiöses Kulturerbe sicherzustellen und Klostergemeinschaften bei Neuorientierung zu unterstützen. Präsident Urs L. Steger gibt Einblick in die Klosterlandschaft Schweiz und spricht über die Nöte der Klöster und mögliche neue Perspektiven für die alten Mauern.

    (Bild: pixabay) Es gibt kaum noch Menschen, die sich einer Klostergemeinschaft anschliessen: Der Verein «Kloster-Leben» setzt sich dafür ein, die «Heiligen Orte» für zukünftige Generationen zu bewahren. Hier auf dem Bild das bekannte Romainmotier, im Kanton Waadt.

    In der Schweiz gibt es 75’804 Klöster und andere sakrale Bauten. Sinkende Mitgliederzahlen, Unternutzung und Leerstände sorgen dafür, dass die Immobilien kaum noch tragbar sind. Wie geht es den Klöstern in der Schweiz?
    Urs L. Steger: Der Klosterlandschaft Schweiz geht es nicht gut. Es gibt kaum noch Menschen, die sich einer Klostergemeinschaft anschliessen. So stehen viele Klöster fast leer oder drohen, verlassen zu werden. Es gibt keine schnellen Lösungen für diese spirituellen, sozialen und wirtschaftlichen Kulturgüter. Es gibt grosse und bekannte Leuchtturmklöster wie Einsiedeln oder Engelberg aber auch das weniger bekannte weitgehend profanierte Kloster Fischingen. Diese spirituell/theologisch und betriebswirtschaftlich gut funktionierenden Areale erzählen interessante Hintergrund­geschichten ihres bis heute andauernden Erfolgs. Diese KPI lassen sich allerdings nur bedingt auf die aktuell sich in prekären Verhältnissen befindenden Klöster übertragen. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass sich – trotz aller Grenzen der Übertragbarkeit von Dritt-Konzepten – sich ein Blick auf die gelungenen und auch weniger gelungenen Anläufe dieser Vorzeigeklöster lohnt. Vor allem die innere Kraft des Geistes der in diesen Klöstern beheimateten Gemeinschaften hat diesen «sakralen Granden» schlussendlich viel mehr als nur ein Überleben ermöglicht.

    Was motiviert Sie, sich im Verein Kloster-Leben zu engagieren?
    Die Klosterlandschaft prägt den Lebensraum Schweiz in vielfältigster Hinsicht, nicht nur geschichtlich: Viele Klöster sind beeindruckende Modelle von Kreislaufwirtschaft, intergenerationellem Zusammenleben aus einer gemeinsamen Mitte mit Ausstrahlung, hochspezialisiertem Handwerk, achtsamer Landwirtschaft und Kunst, Gastfreundschaft und sozialem Engagement. Von ihnen lässt sich vieles lernen für ein gutes Zusammenleben in unserer diversen Gesellschaft, das interessiert uns. Wir bauen an einem Wissensfundament für ganzheitliche, interdisziplinäre Transformationen einer bedeutenden Kulturlandschaft. Sie ist zu kostbar, um sie ökonomischen Zwängen, Immobilenmogulen, kurzfristigen Hauruck-Übungen oder Partikularinteressen zu opfern.

    Was sind die grössten Herausforderungen für die Ordens­gemeinschaften in der heutigen Zeit?
    Für die meisten ist es der eigene Sterbeprozess. Das bedeutet vorrangig, für die älteren Mitschwestern und Mitbrüder zu sorgen. Dazu gehört auch die Finanzierung und Organisation der Pflege. Früher standen dafür eigene Ordensleute oder Ordensfrauen anderer Klöster zur Verfügung. Oft fehlt die Kraft und die Motivation, sich über das eigene Ende hinaus mit der spirituellen Verantwortung für kommende Generationen auseinanderzusetzen: Auch wenn wir heute noch nicht exakt wissen, was die Menschen morgen brauchen, ist es wichtig, die Ressourcen, die eine Gesellschaft den Kirchen und Klöstern gegeben hat, verantwortungsvoll zu teilen: Nicht unter Aufsicht der geistlichen Gemeinschaften, sondern mit ihrer Offenheit, über sich hinaus zu teilen.

    (Bild: zVg) Urs L. Steger, Präsident des Vereins Kloster-Leben, möchte die Bedeutung der Klosterlandschaft bewahren.

    Was ist der Zweck des Vereins, beziehungsweise wie unterstützen Sie die Ordensleute?
    Wir bringen interdisziplinäres Wissen, Erfahrungen mit Transformationen von Klöstern, eine langjährige Forschung und ein grosses Netzwerk mit. Dies ist notwendig, um komplexe Areale zukunftsfähig aufzustellen. Dabei unterstützen wir Ordensgemeinschaften, aber auch Unternehmen, die in der Transformation von Gebäuden arbeiten und merken, dass ihnen das spezifische Wissen zur Sakralraumtransformation fehlt.

    Wer engagiert sich im Vorstand des Vereins?
    Im Vorstand sind Kompetenzen aus Theologie, Ökonomie, Raumplanung, Projekt- und Immobilienmanagement, Kommunikation und Fundraising vertreten. Wir arbeiten auch intergenerationell. Leider hat der Ordensmann in unserem Team die Schweiz verlassen und lebt nun in einer Gemeinschaft in Deutschland. Da haben wir gegenwärtig eine Vakanz.

    Die Klosterlandschaft Schweiz ist recht dürftig erforscht. Wieso ist das so?
    Ja, der Begriff der Klosterlandschaft wurde in der Gründungsphase des Vereins Kloster-Leben ans Licht gebracht. Eines unserer Vorstandsmitglieder hat 2017/2019 an der ETH Zürich zu diesem Thema eine richtungsweisende Masterarbeit geschrieben. Jedes Kloster ist anders, sie haben verschiedene Profile als Schulgemeinschaft oder geschlossenes Kloster, sie gehören zu unterschiedlichen internationalen Klostergemeinschaften wie etwa dem Benediktinerorden. Dank der Raumplanung, also dem Blick vom Lebensraum auf die Klöster, hat sich die Klosterlandschaft als bedeutende Schweizer Kulturlandschaft erst erschlossen.

    Was sind die grössten Herausforderungen, wenn es um die Erhaltung der Klöster geht?
    Partikularinteressen und kurzfristige Lösungen. Dies ist vergleichbar mit den Industriebrachen: Die ersten Entwicklungsprojekte machten aus Industriebrachen Lofts. Erst mit der Zeit wurde geforscht und es entstanden nachhaltige, spannende, sozial wichtige, multifunktionale Lösungen. Das Stichwort ist Mischnutzung. Räume können nachhaltig entwickelt werden, wenn ihre Idee verstanden ist. Auf Mischnutzung angelegte Areale wie Klöster werden, unter Einbezug des Sakralen, wiederum Mischnutzungen im Dialog mit der Bevölkerung brauchen, um auch wirtschaftlich nachhaltig sein können.

    (Bild: pixabay)

    Wie sehen die Entwicklungsmöglichkeiten der Schweizer Klöster aus?
    Die Perspektive ist gut. Im Unterschied etwa zu Italien, wo viele Klöster verlassen und verfallen sind, weil sich die Kirchen und Behörden aus Ressourcengründen fast ausschliesslich um den Erhalt der wichtigsten, zahlreichen Bauten kümmern, haben wir in der Schweiz eine überblickbarere Situation, relativ gut erhaltene Bausubstanz und eine hohe Sensibilität für nachhaltige Entwicklung. Interdisziplinäre Entwicklung unter Einbezug der Frage nach den Funktionen von Zentrumsgebäuden für Sinn und Zusammenhalt im gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruch wird nicht nur einzelnen Klöstern und Kirchen eine Zukunft geben, sondern die Klosterlandschaft Schweiz neu beleben.

    Klosterleben beschäftigt sich mit möglichen Umnutzungen. Was ist Ihre ideale Neunutzung eines Klosters?
    Das Interessante einer Perspektive Klosterlandschaft für das einzelne Projekt ist die Fähigkeit, viele Informationen zur Verfügung zu haben, um eine individuelle Umnutzung zu ermöglichen. Es gibt keine ideale Nutzung, es ist immer eine konkrete Nutzung, die zur Geschichte, den Spezialitäten und zur Vision eines Klosters, zu den Gegebenheiten Gebäude und der sie umgebenden Stadtquartiere oder Landschaften passen. Dafür ist es wichtig, gute Beispiele zu sammeln und vor allem die notwendigen Informationen zur Verfügung zu haben.

    Was wünschen Sie sich persönlich für die Klosterlandschaft Schweiz?
    Eigentlich alles, was in der DNA des Christentums eingeschrieben ist: Sich als Teil des Lebensraums und der Menschen zu erkennen. Glaube, auch wenn wir noch nicht wissen, wie die Zukunft aussieht. Grosszügigkeit, die Bedeutung der Klosterlandschaft zu bewahren und die Vision der individuellen Klöster in die Entwicklung einzubringen.

    Interview: Corinne Remund

    www.kloster-leben.ch

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