KOLUMNE:
Jugend von heute
Ich sitze im Bus, sinniere vor mich hin, während die Landschaft an mir vorbeizieht. Plötzlich merke ich, wie ich angestarrt werde und blicke in zwei grosse, runde Augen. Ein kleines Mädchen, nicht älter als 5, steht vor mir und streckt ihren Kopf an ihrer Mutter vorbei in meine Richtung. Ich lasse mir nichts anmerken, kann aber nicht verhindern, dass ich mir unauffällig ins Gesicht fasse: Ist meine Wimperntusche verschmiert? Sitzt meine Frisur noch richtig? Weshalb starrt dieses Mädchen so? Ich öffne die Frontkamera auf meinem Telefon und schaue nach: nichts. Ich blicke das kleine Mädchen fragend an und versuche meine Unsicherheit zu überspielen. Ein Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, liegt auf ihrem Gesicht. Ist es Bewunderung?
Ich kann nicht verhindern, dass dieser Moment mich noch den ganzen Tag lang verfolgt und mich nicht loslässt. Weshalb hatte dieses Mädchen mich so angestarrt?
Ich kenne das Mädchen nicht, sie ist mir fremd und trotzdem kenne ich sie besser, als dass ich zuerst dachte. Ich weiss, wie sie sich fühlen wird, wenn sie zum ersten Mal ihre Tage hat. Ich kann ihr nachempfinden, wenn sie sich von der Gesellschaft unterschätzt fühlt. Wir haben sehr wahrscheinlich sogar ähnliche Zweifel und Komplexe, die uns in unserem Alltag begleiten. Ich habe im Laufe meines Lebens gemerkt, wie sehr mich bewundernde Kinderaugen motivieren und mir einen Ansporn für die Zukunft schenken. Ich möchte einmal die Frau werden, die ich als Mädchen früher bewundert habe.
Doch nicht nur mit der jüngeren Generation fühle ich ein Band der Verbundenheit. Folgende Szene spielte sich neulich in der Nacht ab. Ich stand an der Bushaltestelle, meine Hände in der Jackentasche vergraben, um diese vor der Kälte zu schützen. Ich blickte zu meiner Rechten, eine Gruppe Jungs, alkoholisiert, laut grölend. Um meine Angst zu überspielen, zog ich mein Handy aus der Jackentasche und versuchte mich abzulenken. Aus dem Augenwinkel registrierte ich urplötzlich eine Bewegung. Eine Frau, um die 40, trat in den Schein der gleissenden LED-Beleuchtung. Auch sie positionierte sich mit Distanz zum Geschehen, warf mir dann aber einen Blick der Aufmunterung zu. Ein Ausdruck, der weitaus mehr signalisiert als das. Ein Ausdruck der Bestärkung, des Zusammenhalts, der Sicherheit: Ich bin nicht alleine.
Knapp 4 Millionen Frauen gibt es zurzeit auf unserem Planeten. Dies macht 49,5 % der Gesamtbevölkerung aus. Sie kommen dabei alle aus verschiedenen Ländern, haben verschiedene Geschmäcker, Berufe, Wünsche und Lebenserfahrungen. Doch alle teilen wir eine Gemeinsamkeit: das Frausein mit all seinen Facetten, Ängsten und Stigmata. 1791 verfasste Olympe de Gouges, französische Revolutionärin und Frauenrechtlerin, die «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin». Dabei blieb wohl vor allem folgender Satz im Gedächtnis: «Frauen, wacht auf! Was auch immer die Hürden sein werden, die man euch entgegenstellt, es liegt in eurer Macht, sie zu überwinden. Ihr müsst es nur wollen.» Genau diese Hürden lassen sich gemeinsam überwinden. Wir können stolz darauf sein, dass wir alle Frauen sind. Deshalb sollte es zu unserer Priorität werden, uns gegenseitig im Alltag aufzubauen, uns anzulächeln und einander Zuspruch zu schenken. Weg mit dem Zickenkrieg, weg mit dem Konkurrenzkampf. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Women support Women.
Herzlichst
Lilly Rüdel