Im 2024 suchte das Regionalmuseum Chüechlihus im Emmental in einer aufsehenerregenden Aktion Ideen für die künftige Verwendung von rund 400 Museumsobjekten. Die 87 neuen Besitzerinnen und Besitzer dieser Gegenstände holten die Kulturgüter am Chüechlihus-Sunndig, 1. September 2024, im Museum ab.
Das Regionalmuseum Chüechlihus (RMC) gibt Kulturgüter, die sich über Jahre hinweg in seiner Sammlung befanden, weg. Jetzt ist entschieden, wo und wie die Gegenstände aus der Entsammlung 2024 ein neues Leben erhalten. Über die zukünftige Verwendung von gut 400 Werkzeugen, Bilderrahmen, Möbel und anderen Museumsgegenständen stimmte die Emmentaler Bevölkerung sowie ein eigens dafür gegründetes Gremium – der Objektrat #AltSuchtNeu 2024 – in einem mehrstufigen Entscheidungsprozess ab.
Vom Museum in ein neues Zuhause
Auf der Suche nach neuen Besitzerinnen und Besitzer für die Museumsobjekte, erhielt das Regionalmuseum Chüechlihus 277 Bewerbungen von total 87 Privatpersonen, Schulen, Kulturinstitutionen und Vereinen; darunter auch Interessierte aus Deutschland und Österreich. Vorwiegend stammten die Bewerbungen jedoch aus der Region und aus dem Kanton Bern, womit ein Grossteil des Kulturguts nun auch in der Umgebung verbleibt. Einige der Objekte werden anderen Museen – in deren Sammlungen oder in die Vermittlung – übergeben. Die Langnauer Kulturgüter werden so weiter genutzt und erhalten einen neuen Sinn und Zweck. Einige Bewerbungen, die sich durch besondere Originalität auszeichnen:
- Eine Bewerberin aus Bettlach erhält eine Ölkanne (RMC-851), um ihre Werkstatt für postapokalyptische Ausstellungen besser auszustatten und eine authentische Atmosphäre für Inszenierungen wie z.B. am Greenfield-Festival zu schaffen. Das Emmentaler Kulturgut kriegt hier eine neue Bühne und ein neues Publikum.
- Ein Messerschmied aus Lütisburg setzt in seiner Schmiede alte Werkzeuge wieder ein, darunter fünf Hämmer (RMC-870). Er hat ein Bewerbungsvideo eingereicht, das Einblick in seine Schmiede gibt, wo das Emmentaler Kulturgut wieder in seiner ursprünglichen Funktion Verwendung findet.
- Die Rudolf Steiner-Schule aus Oberfrittenbach durfte unter anderem fünf Zangen (RMC-878) am Chüechlihus-Sunndig abholen. Die Geräte kommen in Zukunft bei einem Schmiedeprojekt mit einer 9. Schulklasse zum Einsatz und dienen so der Kulturvermittlung ausserhalb des Museums.
- Ein Koffer (RMC-781) wird zu einer mobilen Bühne für ein Figurenspiel. Die Baslerin liess sich bei ihrer Bewerbung «Figurenspiel-Koffer» von Märchen und Sagen inspirieren und will nun dank des Emmentaler Kulturguts eine 10-minütige Aufführung ihres Stücks «Die Erdkröte und die goldenen Taler» anbieten.
- Für das interkantonale Schulprojekt «Zeitmaschine bauen» des gemeinnützigen Vereins «Zeitmaschine.TV» gehen verschiedene Gegenstände nach Bern – unter anderem ein Stuhl (M-025) und ein Bilderrahmen (RMC-801). Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 20 Jahren besuchen ältere Menschen, um deren Jugenderinnerungen in Kurzfilmen festzuhalten. Somit kann dieses Emmentaler Kulturerbe wieder als Teil unserer Erinnerungskultur fungieren – nun ausserhalb des Museums.
Alle 277 Bewerbungen wie auch die Ergebnisse der Abstimmung sind auf ENTSAMMELN.CH einsehbar.
In diesem Jahr hat das Regionalmuseum Chüechlihus auch sensible Objekte zur Entsammlung freigegeben, darunter Echthaar (RMC-751). Die Diskussionen in den Fachkreisen, die die transparente Entsammlung des Regionalmuseums in Bezug auf ebendieses Sammlungsgut auslöste und auslösen wollte, verdeutlichten die Brisanz des Themas. Sie machten sichtbar, dass es keinen Konsens über den Umgang mit sensiblen Objekten im Museum gibt. Das transparente und partizipative Vorgehen des Regionalmuseums Chüechlihus hat gezeigt, dass eine sorgfältige Entscheidungsfindung möglich ist, wenn ein Einzelfall vertieft und unter Einbezug verschiedener Perspektiven – auch aus der Bevölkerung – diskutiert und eine Mitbestimmung ermöglicht wird. Im Fall des Regionalmuseums Chüechlihus war nach der ersten Sammlungsphase klar, dass die «Echthaare», deren Herkunft unbekannt ist, entsammelt und für eine allfällige Weitergabe freigegeben werden (das RMC berichtete). Bei der Diskussion im Objektrat über die eingegangene Bewerbung aus dem Ausland wurde deutlich, dass dieses Sammlungsgut nicht aus dem regionalen Kontext herausgelöst werden sollte. Zudem blieb unklar, ob eine Weitergabe den komplexen ethischen Anforderungen im Umgang mit menschlichen Überresten gerecht werden könnte. In der Schlussabstimmung wurde deshalb entschieden, die Haare nicht weiterzugeben, sondern sie mit gebührendem Respekt fachgerecht und würdevoll zu entsorgen.
Das Entsammlungsprojekt #AltSuchtNeu hat nicht nur das Museum selbst, sondern auch viele Menschen bewegt und gezeigt, wie sich Kultur und Geschichte auf inspirierende Weise mit dem heutigen Leben verbinden lassen.
pd