Der Tierschutz begleitet Esther Geisser schon von Kindsbeinen an. Die Präsidentin und Gründerin von NetAP – Network for Animal Protection gibt Einblick über ihre tägliche Arbeit und das immense Tierleid, dem viele gleichgültig gegenüberstehen. Sie spricht über Katzenelend, das ihr Team mit sogenannten Kastrationstagen bekämpft, über die Vision einer staatlichen Unterstützung und das grosse Engagement der Freiwilligen.
Sie sind die Gründerin der Tierschutzorganisation NetAP. Wie ist NetAP entstanden?
Esther Geisser: NetAP wurde 2008 durch mich und zwei weitere erfahrene Tierschützer gegründet, nachdem wir alle schon zuvor viele Jahre aktiv im Tierschutz waren. Dabei sind uns zwei Dinge aufgefallen, die wir besser machen wollten. Erstens hatten wir den Eindruck, es würde zu viel Spendengeld von grossen Verwaltungsapparaten verschluckt werden und zweitens störten wir uns daran, dass oft nicht zusammengearbeitet wurde. Doch gerade im Tierschutz sind das Teilen von «Best practise», die Zusammenarbeit und der Austausch elementar, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen, ob im In- oder Ausland. Netzwerken, um bessere Resultate für alle erzielen zu können, erschien uns als etwas, was viel zu wenig getan wird.
Was sind die Aufgaben und Ziele von NetAP?
Wir konzentrieren uns auf die Verbesserung der Lebenssituation sogenannter Nutztiere und Strassentiere, weil wir da über ein umfassendes Wissen und viel praktische Erfahrung verfügen. Bei ersterem spielen vor allem Aufklärung und Sensibilisierung eine zentrale Rolle. Bei Letzteren sind Kastrationen der absolute Schwerpunkt, weil sich dadurch zukünftiges Leid nachhaltig vermeiden lässt.
Was motiviert Sie, sich jeden Tag für die Tiere einzusetzen?
Tierschutz begleitet mich schon von Kindsbeinen an, und heute ist Tierschutz nötiger denn je. Leider sehen viele Politiker, Behörden und auch Teile der Gesellschaft das immense Tierleid nicht bzw. stehen diesem gleichgültig gegenüber. Aber Tiere sind nun mal die Schwächsten in unserer Gesellschaft, fühlen ebenso Angst und Schmerz wie wir. Tiere bereichern das Leben in verschiedener Weise ungemein. Da ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich für sie einstehe. Ich bin glücklich darüber, dass ich das jeden Tag machen darf, aber auch traurig, dass es jeden Tag nötig ist.
Sie führen sogenannte Kastrationstage durch. Was muss man sich darunter vorstellen?
In den Wintermonaten, wenn die Katzen nicht schwanger sind und auch keinen Nachwuchs zu versorgen haben, kastrieren wir praktisch jedes Wochenende in verschiedenen Kantonen. Dafür bauen wir unser Feldlazarett in geeigneten Räumlichkeiten auf und kastrieren mit unserem Team zwischen 40 und 100 Katzen pro Tag. Diese werden zuvor eingefangen, zum Beispiel auf Höfen, in Schrebergärten, Wäldern, auf Fabrikarealen und überall da, wo es herrenlose oder verwilderte, unkastrierte Katzen hat. Die Katzen werden aber nicht bloss kastriert. Sie werden ausserdem gründlich untersucht, gegen innere und äussere Parasiten behandelt, markiert, geimpft und wenn weitere Eingriffe für eine gute Lebensqualität nötig sind, werden auch diese durchgeführt (zum Beispiel Zähne ziehen, Wundversorgungen oder gar eine Amputation). Katzen, die noch nicht fit genug sind, um am anderen Tag wieder in ihr angestammtes Revier zurückzukehren, nehmen wir stationär auf und versorgen sie, bis sie gesund sind.
Wie viele solche Kastrationstage führen Sie jährlich durch und wie viele Katzen werden dabei kastriert?
Wir führen jeweils zwischen 8 und 12 solcher Kastrationswochenenden – wir müssen am Tag vorher einfangen und am Tag nachher freilassen – durch. Je nach Grösse der Räumlichkeiten und des Teams werden bis zu 100 Katzen pro Tag kastriert, es können aber auch mal nur 20 sein. Wegen Covid-19 sind die Teams etwas kleiner als sonst und die Anzahl Katzen sind in diesem Jahr maximal 80.
Das Katzenelend ist in der Schweiz gross. Wieso und wie kann man diesen Missstand bekämpfen?
Die Anzahl an Katzen wächst von Jahr zu Jahr, und jene, die leiden, ebenfalls. Wir kommen nicht nach mit dem Kastrieren all der verwilderten Katzen, weil es ständig Neuzugänge gibt. Dabei ist zu bedenken, dass jede herrenlose und verwilderte Katze in der Schweiz ihren Ursprung bei einer Katze mit Halter hat, der nicht kastrieren wollte. Eine Kastrationspflicht würde vieles erleichtern. Denn jeder Wurf, der absichtlich produziert wird, verschlimmert die Situation der Katzen. Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass – entgegen der Meinung der Schweizer Behörden und Politiker – sich die Mehrheit der Halter freiwillig an ein solches Gesetz hält und entsprechend die Kastrationszahlen massiv ansteigen würden, ohne dass der Staat hierfür Ressourcen schaffen müsste. Bis es so weit ist, sollten Tierschutzorganisationen darauf achten, Kolonien immer vollständig zu kastrieren, auch wenn das manchmal sehr zeitaufwändig ist. Oft sind wir an Orten tätig, wo bereits zuvor Kastrationen ermöglicht wurden, leider aber nur für einen Teil der Katzen. Das ist nicht nachhaltig.
Die Unterstützung der Behörden ist nicht gross. Was wünschen Sie sich von Seiten der Politik?
Die Politik sollte endlich hinschauen und ihre Pflicht wahrnehmen und das Problem nicht weiter ignorieren. Sie sollten sich anhören, was wir zu sagen haben und nicht ständig Ausreden bringen, ohne die Fakten zu kennen, warum eine solche Pflicht nicht möglich bzw. nicht nötig sei.
Wie wird die Politik darauf sensibilisiert und welche Prognosen haben Sie bezüglich staatlicher Unterstützung?
Von einer staatlichen Unterstützung können wir nur träumen. Solange es kaum Politiker gibt, die sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen, wird es schwer. Im Moment haben wir in den Kantonen Zürich und Basel Stadt den Vorstoss von Politikerinnen pendent, die vielleicht kantonal etwas erreichen können, nachdem das leider auf Bundesebene mit der Petition von 2018 gescheitert ist. Leider haben zu diesem Thema viele Politiker eine vorgefasste Meinung, oft auch weil sie selbst zu den Haltern gehören, die ständig Nachwuchs produzieren. Auch werden viele Unwahrheiten erzählt, so behauptete zum Beispiel ein Berner Grossrat bei der Abstimmung über Massnahmen gegen das Katzenelend im Kanton Bern, dass es einen Katzenmangel auf vielen Höfen gäbe. Ich hatte mich mit ihm umgehend in Verbindung gesetzt, weil wir regelmässig Plätze für viele Katzen suchen und Bauernhöfe für verwilderte Katzen geradezu ideal sind. Nicht überraschend konnte er mir nicht einen einzigen Hof nennen.
Hat Corona das Katzenelend noch vergrössert?
Unbedingt. Während des Lockdowns im letzten Jahr durften Tierarztpraxen nur Notfälle annehmen. Viele Praxen taxierten das Kastrieren von Katzen nicht als solche. Dadurch wurde noch weniger kastriert und entsprechend gab es noch mehr Nachwuchs. Auch holten sich viele Menschen aus Einsamkeit oder Langeweile Katzen ins Haus, die sie wieder loswerden wollten, als Homeoffice vorbei war und man wieder reisen durfte. Da die Tierheime aber voll waren bzw. die Abgabe oft kostenpflichtig ist – vor allem wenn sie ungeimpft und unkastriert sind – wurden zahlreiche Tiere ausgesetzt (meist unkastriert), manche wohl auch einfach getötet.
Was kann jeder Einzelne tun, um das Tierelend zu reduzieren?
Generell sollte man sich vor der Anschaffung eines Haustieres mit den Bedürfnissen der betreffenden Spezies beschäftigen und gut überlegen, ob man denen auch wirklich über eine lange Zeit gerecht werden kann. Katzen zum Beispiel können ohne weiteres 20 Jahre alt werden und sind bei weitem nicht so kostengünstig und pflegeleicht, wie man landläufig behauptet. Je älter die Tiere werden, desto öfter brauchen sie den Tierarzt. Eine Zahnsanierung zum Beispiel, wie sie bei den meisten Katzen irgendwann anfällt, kostet sehr schnell 1000 Franken. Ist man überzeugt, dass man einem oder mehreren Tieren ein ideales Zuhause bieten kann, sollte man die neuen Familienmitglieder im Tierheim finden, denn da warten meist unzählige Vierbeiner auf ein gutes Zuhause. Im Tierheim hat man Zeit, den neuen Freund in Ruhe kennenzulernen. Behauptungen, Tiere aus Tierheimen seien verhaltensauffällig kommen meist von Leuten, die keine Ahnung haben. Mit dem Tierheim hat man zudem einen verlässlichen Partner zur Seite, der einem bei der Auswahl und bei allfälligen Problemen beraten kann. Klappt es ausnahmsweise doch nicht mit dem Zusammenleben, nimmt ein Tierheim in aller Regel den Mitbewohner auch wieder zurück. Möchte man noch mehr tun, gibt es viele Möglichkeiten wie Freiwilligenarbeit im Tierschutz, Spenden oder man kann für ein nicht platzierbares Tier eine Patenschaft übernehmen und so helfen, dessen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wie finanzieren Sie ihre Aktivitäten?
Unsere Aktivitäten finanzieren sich ausschliesslich durch Spenden. Wir bekommen keinerlei staatliche Unterstützung. Besonders zu erwähnen ist, dass NetAP durch viele Freiwillige getragen wird, was uns ermöglicht, die Spendengelder direkt in den Tierschutz zu stecken. Es muss nicht erst ein grosser Verwaltungsapparat bezahlt werden, bevor wir aktiv die Lebenssituation von Tieren verbessern können.
Interview: Corinne Remund